Die große Verführung. Karl Ernst Osthaus und die Anfänge der Konsumkultur

Im Jahr 1923 gelangte ein mehrere tausend Arbeiten umfassender Bestand in das Kaiser Wilhelm Museum Krefeld: Das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe (DM) – vielleicht die erste Designsammlung überhaupt. Bis heute bildet sie den Kern der Museumssammlung im Bereich der angewandten Kunst. Bei dem umfangreichen Konvolut handelt es sich um eine Mustersammlung vorbildlicher Gestaltung, die der bedeutende Hagener Mäzen und Sammler Karl Ernst Osthaus zwischen 1909 und 1919 mit finanzieller und ideeller Unterstützung des Deutschen Werkbundes zusammengetragen hatte. Neben seinem 1902 gegründeten Museum Folkwang spiegelte das neue Projekt noch innovativer und radikaler den Geist einer neuen Zeit. Die Ziele des Deutschen Museums waren so ehrgeizig wie universell: Der gesamte Alltag sollte nach modernen ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet werden, „Geschmackserziehung“ wurde zum Schlagwort. Es galt, Produkthersteller und Firmen ebenso wie die Kaufleute von einem gelungenen Öffentlichkeitsauftritt zu überzeugen und mithilfe der neuen Reklamekunst gleichzeitig die Absatzmärkte für deutsche Produkte zu erweitern. In Kooperation mit wegweisenden Künstler:innen und Gestalter:innen seiner Zeit wie Peter Behrens, Henry van de Velde, Walter Gropius, Richard Riemerschmid, Clara und Fritz H. Ehmcke, Josef Hoffmann und vielen anderen trug Osthaus eine Sammlung von Plakatkunst, Buchgestaltung, Glas, Keramik und Silber, Fotografien und Werbegrafik zusammen, in der sich die Kulturgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts spiegelt. Nach Osthaus‘ Tod verkauften die Erben sein Lebenswerk. Während die Sammlungen des Museum Folkwang nach Essen gingen, ergänzte das DM fortan in Krefeld perfekt das im Geist der Reformbewegung entstandene innovative Museumskonzept des Kaiser Wilhelm Museums. Kuratorinnen: Ina Ewers-Schultz, Magdalena Holzhey

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Die große Verführung. Karl Ernst Osthaus und die Anfänge der Konsumkultur

Die große Verführung. Karl Ernst Osthaus und die Anfänge der Konsumkultur

Kaiser Wilhelm Museum Krefeld, 23. November 2023 bis 28. April 2024

 

100 Jahre Museum im Museum

Im Jahr 1923 gelangte ein mehrere Tausend Arbeiten umfassender Bestand in das Kaiser Wilhelm Museum Krefeld: Das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe (DM). Bis heute bildet er den Kern der Sammlung im Bereich der angewandten Kunst. Der Ankauf erfolgte durch den Krefelder Museumsverein und wurde 1928 als Schenkung an die Stadt und damit dauerhaft ans Museum übergeben. Bei dem umfangreichen Konvolut handelt sich um eine Mustersammlung vorbildlicher Gestaltung, die der bedeutende Hagener Mäzen und Sammler Karl Ernst Osthaus zwischen 1909 und 1919 mit finanzieller und ideeller Unterstützung des Deutschen Werkbundes zusammengetragen hatte. Neben seinem 1902 gegründeten Museum Folkwang spiegelte das neue Projekt noch innovativer und radikaler den Geist einer neuen Zeit. Nach Osthaus Tod verkauften die Erben sein Lebenswerk. In Krefeld ergänzte es in den Augen des Direktors und engen Freundes von Osthaus, Max Creutz, perfekt das im Geist der Reformbewegung entstandene innovative Museumskonzept des Kaiser Wilhelm Museums.

Das Konvolut Deutsches Museum

Die universale Gestaltungsidee des Museums war darauf angelegt, wie es Peter Behrens programmatisch formulierte, geistige in wirtschaftliche Werte umzusetzen. Entsprechend trug Osthaus mit der Unterstützung und Beratung verschiedener Künstlerinnen und Künstler eine Sammlung herausragender zeitgenössischer Arbeiten von Alltagsprodukten aus dem privaten und geschäftlichen Bereich sowie Luxusgütern zusammen, die ganz unterschiedliche Gattungen abdecken. Glas, Keramik, Silberwaren und Porzellan gehören dem Konvolut ebenso an wie Tapeten und Stoffe, Plakate, Buchgestaltung, Geschäftspapiere, dazu Fotografien vorbildlicher Architektur. Maßgebliche Protagonisten der Reformbewegung wurden für die Mitarbeit herangezogen. Dazu gehörten Richard Riemerschmid, Henry van de Velde, Peter Behrens, Fritz Hellmuth Ehmcke, Walter Gropius, Künstlerinnen und Künstler der Wiener Werkstätte wie Josef Hoffmann und Koloman Moser oder bedeutende Reklamekünstler wie Lucian Bernhard und Julius Klinger und viele andere. Darüber hinaus lässt sich eine enge Zusammenarbeit mit niederländischen und belgischen Künstlern feststellen, vor allem mit Henry van de Velde, J. M. L. Lauweriks und Johan Thorn Prikker.

Bedeutung des Deutschen Museums

Die Ziele des Deutschen Museums waren so ehrgeizig wie universell: Der gesamte Alltag sollte nach modernen ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet werden. Anliegen war es, „Kultur und Geschmack in weiten Kreisen zu verbreiten und Künstler und Produzenten zu ‚gemeinsamem edlerem Schaffen‘ zu animieren“ (Osthaus 1911). Genauso innovativ wie die Konzentration der Sammlung auf zeitgenössische angewandte Kunst war deshalb das Vermittlungskonzept. So hatte das DM kein eigenes Gebäude; seine Sammlungen gingen vielmehr nach thematischen Gesichtspunkten geordnet als Wanderausstellungen auf Reisen – 1912/13 sogar bis in die USA. Vorträge, Seminare und Wettbewerbe begleiteten die Ausstellung zwecks „Erziehung und Propaganda“. „Geschmackserziehung“ wurde zu einem konzeptionellen Schlagwort. Es galt, Produkthersteller und Firmen ebenso wie den Kaufmann von einem gelungenen Öffentlichkeitsauftritt zu überzeugen und mithilfe der neuen Reklamekunst gleichzeitig die Absatzmärkte für deutsche Produkte zu erweitern. Den modernen Künstlern und Künstlerinnen wurde dabei die entscheidende Rolle bei der Neuorientierung zugewiesen.

Die Jubiläumsausstellung 2023

Mit einer großen Ausstellung und einem parallel dazu erscheinenden Katalog begehen die Kunstmuseen Krefeld ab November 2023 das hundertjährige Jubiläum des Erwerbs des bedeutenden Konvoluts. Die Auseinandersetzung mit dem Bestand, der zu den ersten Designsammlungen der Welt zählt, erfolgt anhand aktueller Fragestellungen und beleuchtet die Museumsarbeit an der Schnittstelle zwischen Forschung und Vermittlung, zwischen Original und neuen Medien, zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

Ausgangspunkt ist die vollständige Bestandserfassung. Erstmals wird das Konvolut in seiner Gesamtheit inventarisiert, digitalisiert und restauriert. Im Zuge der Bearbeitung werden nun Einzelobjekte in den Blick genommen, um anhand einer repräsentativen Auswahl individueller Künstler- bzw. Objektbeschreibungen die Geschichte des Deutschen Museums beispielhaft aufzuzeigen und zu kontextualisieren. Statt einer Rekonstruktion des Deutschen Museums und einer Gliederung der Bestände in Medien und Material nach Vorbild der historischen Ordnung, bilden die vom Museum ins Leben gerufenen innovativen Organe die Leitlinie der aktuellen Ausstellung. Diese Einrichtungen nehmen gleichsam modellhaft zentrale Aspekte heutiger Vorstellungen von Museumsarbeit vorweg: die Bedeutung der Museumspädagogik, der Partizipation, des Marketings oder die Idee des Museumsshops.

Mit seinem Sammlungskonzept und seinem erzieherischen Impetus erscheint das DM wie eine gebündelte Geschichte der Konsumkultur zwischen 1900 und 1914, in der sich ästhetische Ideale und ökonomische Ziele kreuzen. So spiegelt sich einerseits in den Qualitäten der einzelnen Objekte wie im Brennglas die Geschichte der Kunstgewerbebewegung und andererseits die Ästhetisierung des beginnenden Massenkonsums und der damit einhergehende ökonomische Druck nach neuen Absatzmärkten. Die innovative Rolle als gesellschaftsverändernde Kraft wurde dabei der angewandten Kunst zugewiesen – jenseits ihres reinen Gebrauchswerts. Wie ein Leitfaden zieht sich die dem Design zugewiesene gesellschaftsverändernde Funktion als damals virulentes wie aktuell viel diskutiertes Thema durch die Ausstellung. In allen gesellschaftlichen Bereichen ist dabei gestern wie heute die Frage nach Luxus oder Massenware, von Unikat oder Typus stellvertretend von entscheidender Bedeutung. Was aber ist heute gutes Design und kann gutes Design die Welt verändern? Diese Fragen nach Verantwortung von Gestaltenden, Herstellenden und Konsumierenden müssen nach heutigen inklusiven und nachhaltigen Kriterien in ganz andere Richtungen erweitert werden.

Zur Ausstellung erscheint im Wienand-Verlag ein reich bebildeter Katalog in deutscher und englischer Sprache, der an der Museumskasse und im Buchhandel zu erwerben ist.

Ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm beleuchtet und vertieft die unterschiedlichen Aspekte der Ausstellung. Im 1. OG befindet sich das Mitmach-Studio, in dem unsere jungen Besucherinnen und Besucher ein anregendes Ambiente vorfinden, um ….

Kuratorinnen: Dr. Ina Ewers-Schultz, Dr. Magdalena Holzhey (Sammlungsleiterin Kunstmuseen Krefeld)

Die große Verführung. Karl Ernst Osthaus und die Anfänge der Konsumkultur
Joseph-Beuys-Platz
47798 Krefeld

http://kunstmuseenkrefeld.de/

cc_by-sa Melanie Stumpen 
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e_100643517
Zuletzt geändert:
23.12.2023